Pressemitteilung Nr. 91/05, 14.03.2005
''Landesregierung ist verpflichtet, für die 'Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen zu sorgen'!''
Landrat Friese schreibt an Ministerpräsident Platzeck zur Neuordnung der zentralörtlichen Gliederung
Im Zusammenhang mit der von der Landesregierung Brandenburg angeregten Neuordnung in der künftigen Fördermittelvergabe, der Aberkennung des Mittelzentrum-Status für die Städte Guben und Spremberg und vor dem Hintergrund der damit verbundenen öffentlichen Diskussion und des politischen Drucks in seinem Landkreis wandte sich Landrat Dieter Friese am 11. März 2005 mit folgendem Brief an Herrn Ministerpräsidenten Matthias Platzeck:
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
mit Sorge verfolge ich die durch die Landesregierung initiierte Diskussion zum zukünftigen Fördermitteleinsatz im Land Brandenburg und die damit einhergehende Diskussion um die Neuordnung der zentralörtlichen Gliederung und des in Rede stehenden Verlustes des Mittelzentrumstatus von Spremberg und Guben.
Ich darf darauf verweisen, dass sich die Lausitz seit 15 Jahren in einem nicht abgeschlossenen Strukturwandel befindet. Nahezu flächendeckend hat dies zum Verlust der Textilindustrie und ihrer Arbeitsplätze geführt. Die Chemie- und Glasindustrie des Landkreises hat Arbeitsplatzverluste nach Tausenden zählend hinnehmen müssen. In der Kohle- und Energiewirtschaft hat die Schließung von Gruben und Kraftwerken zum Verlust von 4/5 der Arbeitsplätze geführt. Die Ihnen bekannte Situation ließe sich für andere Industriezweige beliebig fortsetzen. Dies alles zu verhindern, lag weder in unserer Kompetenz noch stand es in der Kraft der Kommunalpolitik des Landkreises, diese Entwicklung zu kompensieren, trotz aller Bemühungen und erzielter Teilerfolge.
Die Folge ist eine seit Jahren anhaltende Arbeitslosenzahl jenseits der 20 %, der Bevölkerungsverlust von fast 10 000 Menschen, vor allem durch Wegzug junger Menschen seit 1994 im Landkreis. Nicht genug damit, durch eine mehr als fragwürdige Entscheidung des Landtages gingen dem Landkreis über 5000 Einwohner durch Eingemeindung nach Cottbus verloren, was zu einem jährlichen Verlust von 800 000 € Schlüsselzuweisungen führt.
Von der Grenzlage und dem daraus resultierenden Problemen will ich nicht auch noch schreiben.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
wirtschaftliche Entwicklung hat zu großen Teilen mit Psychologie zu tun. Eine Region wie die Lausitz, die zukünftig zugunsten verstärkter Förderung des Berliner Umlandes in der Förderung beschnitten werden soll, wird in den Augen eines potentiellen Investors von der eigenen Landesregierung aufgegeben. Der Grund für eine mögliche Ansiedlung wird psychologisch aus der Sicht des Investors mehr als infrage gestellt. Aus welchem Grund sollte dieser in eine Region gehen, von der die eigene Regierung nicht überzeugt ist?
Spürbar negativ war bereits nur die Diskussion des möglichen Wegfalles der Ziel 1–Förderung der Europäischen Union ab dem Jahr 2007. Die damit initiierte Zurückhaltung von ansiedlungswilligen Unternehmen wird nun um ein weiteres verstärkt. Denn neben der Förderung von Wachstumskernen ist es nach wie vor unablässig, die sehr dünne Wirtschaftsstruktur als allgemeine Basis zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu stärken.
Insofern lehne ich eine differenzierte Einbeziehung der GA-Förderung in die neue Förderstrategie des Wirtschaftsministeriums ab. Wenn überhaupt, müsste gerade die GA-Förderung als besonderer Anreiz für Investoren in einer strukturschwachen Region dienen.
Aus den Informationen, die mir vorliegen, ist erkennbar, dass rund 20 regionale Wachstumskerne und Wachstumsbranchen ohne regionalen Bezug gefördert werden sollen. Damit nimmt man bereits im Ansatz einer dynamischen Entwicklung den Schwung, weil außerhalb der Wachstumskerne Anreiz und Motivation verloren gehen, neue Cluster und Netzwerke zu entwickeln. Deshalb halte ich es für sinnvoll, vor dem Hintergrund der einzigen Technischen Universität in Brandenburg bestehende und auch neue Wachstumskerne diskriminierungsfrei zu befördern.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
die Städte Guben, Forst (Lausitz) und Spremberg haben eine Jahrhunderte lange Entwicklung zu Industriestädten genommen. Sie waren zu jeder Zeit wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Mittelpunkt für ihr Umfeld. Sie besitzen die gleiche Größe, sie besitzen nach wie vor die gleiche Bedeutung für ihr Umfeld, sie sind Bildungsort, Kulturzentrum, Orte für Sport- und Freizeitgestaltung.
Es war der Wille des Landes und die historische Entwicklung dieser Städte, dass sie nun alle im Landkreis Spree-Neiße liegen. Das kann doch nun nicht deren Bevölkerung zur Last gelegt werden, dass beabsichtigt ist, den Städten Spremberg und Guben den Status eines Mittelzentrums und damit Fördergelder abzusprechen. Was damit folgerichtig erwächst, ist ein tiefreifender Frust und Zwist zwischen Forst (Lausitz), Guben und Spremberg, für ein gedeihliches Zusammenwachsen im Landkreis mit Sicherheit nicht förderlich.
Entsprechend der Verfassung des Landes Brandenburg, Artikel 12 (4) ist die Landesregierung verpflichtet, „für die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen ... zu sorgen“.
Bei der Umsetzung der geplanten Maßnahmen sehe ich große Gefahren für die Entwicklung der peripheren Gebiete Brandenburgs, mithin auch meines Landkreises.
Die wesentliche Konzentration zukünftiger wirtschaftlicher Entwicklung auf das Berliner Umland wird zu vermehrter Abwanderung junger, flexibler und gut ausgebildeter Menschen führen. Zurück bleiben aus unterschiedlichen Gründen ortsgebundene, weniger gut ausgebildete und daher auch nicht so flexible Bürger sowie Ältere. Einhergehend mit dem Verlust von Kauf- und damit Wirtschaftskraft ist eine soziale Entmischung und eine damit verbundene soziale Konfliktsituation zu erwarten, ein sich verschärfender Abwärtstrend im Wertigkeits- und Lebensgefühl unausweichlich.
Wie man angesichts dieser Entwicklung dann zu einem angedachten Zeitraum 2009/10 die Mehrheit dieser Bürger an der Wahlurne für eine Zustimmung zur Fusion Berlin-Brandenburg bewegen will, entzieht sich meiner Vorstellungskraft.
Natürlich ist auch mir klar, dass ein Verteilen von Wohltaten nach dem Prinzip „Wie viel hätten Sie denn gern?“ nicht mehr möglich ist, nur war dies schon in den letzten Jahren nicht mehr so. Um so unverständlicher ist, dass mit dem Gemeindefinanzierungsgesetz 2004 die durch den Kreistag verwaltete Investitionspauschale abgeschafft wurde, die zielgerichtete, raumbedeutsame Investitionen ermöglichte, zugunsten allgemeiner Schlüsselzuweisungen für die Gemeinden.
Nicht nach dem Ort der Investition ausgerichtete Förderung sollte das Ziel sein, sondern eine auf Zukunftstechnologie, wirtschaftlicher Sinnhaftigkeit und Arbeitsplatzsicherung basierende. Wenn also festgestellt wird, was ja augenscheinlich unstrittig ist, dass Ansiedlungen im Berliner Umland leichter zu realisieren sind, wäre es nur folgerichtig, vermehrte, auch finanzielle Unterstützung für Ansiedlungen in industriellen Kerngebieten der Landesperipherie zu gewähren!
Ergebnis wäre, die Menschen könnten bleiben, wo sie sind, vorhandene Infrastrukturen wie Schulen, Krankenhäuser und Kultureinrichtungen blieben erhalten, wo sie sind und müssten nicht an anderer Stelle neu eingerichtet werden.
Insofern möchte ich die Aufmerksamkeit auf die den Aufbau-Ost unterstützenden Solidarpaktmittel II richten, die insbesondere den Strukturwandel zu einer modernen und zukunftsorientierten Wirtschaft unterstützen sollen.
Die Auslegung des Solidarpaktes II bis zum Jahr 2019 zeigt, dass wir eine erhebliche Wegstrecke noch vor uns haben.
Der Solidarpakt II sieht von 2005 bis 2019 Mittel des Bundes in Höhe von 156 Mrd. € vor.
Unser Land erhält also auch erhebliche Mittel als Sonder-Bundesergänzungszuweisungen zur „Deckung von teilungsbedingten Sonderlasten aus dem bestehenden starken infrastrukturellen Nachhohlbedarf und zum Ausgleich unterproportionaler Kommunaler Finanzkraft“.
Insofern schlage ich vor, den Solidarpakt II zur Schaffung langfristig verlässlicher finanzieller Rahmenbedingungen insbesondere für strukturschwache Regionen als Ausgleich verstärkt einzusetzen, die den Menschen eine klare Perspektive und den Investoren Planungssicherheit geben.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
ich gehe davon aus, dass wir am Anfang eines Diskussionsprozesses stehen, dem ich mich gern stelle, aber auch im Interesse meines Landkreises einfordere.
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Friese
Landrat des Landkreises Spree-Neiße