Pressemitteilung Nr. 205/03, 21.10.2003

Offener Brief des Landrates zur aktuellen Entscheidung des Brandenburger Verfassungsgerichtes zum Gemeindegebietsreformgesetz

Mit nachfolgendem Offenen Brief wandte sich der Landrat des Landkreises Spree-Neiße, Dieter Friese (SPD), heute an die Fraktionen des Landtages Brandenburg:

 

Offener Brief

 

Sehr geehrte Frau Fraktionsvorsitzende,
sehr geehrte Herren Fraktionsvorsitzende, 

die Entscheidung des Verfassungsgerichtes des Landes Brandenburg vom 16.10.2003 zum Gemeindegebietsreformgesetz das Amt Neuhausen/Spree im Landkreis Spree-Neiße betreffend  hinterlässt bei den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern mehr Fragen und Probleme als vorher. Fakt ist, dass die vom Gesetzgeber vorgesehene Bildung einer amtsfreien Gemeinde bestehend aus den 15 „Restgemeinden“ des Amtes Neuhausen sowie dessen Auflösung verfassungswidrig ist, da vergessen wurde, die Bevölkerung in den 15 Gemeinden anzuhören. Fest steht, dass damit in diesen 15 betroffenen  Gemeinden keine Gemeindevertretung und kein Bürgermeister gewählt wird, sondern nur der Kreistag. Das ist jedenfalls das Ergebnis. 

Der Weg dort hin wirft aber mehr Fragen auf, auf die es bisher keine Antworten gibt, vielmehr unqualifizierte Schuldzuweisungen an den Amtsdirektor und an den Landrat, die diese „Panne“ verursacht haben sollen.

Mit Schriftsatz vom 17.07.2003 wird das Verfassungsgericht von der Anwältin der Gemeinden Frau  Meder über den Formfehler der Nichtanhörung der Bevölkerung informiert. Am 22.07.2003 setzt das Verfassungsgericht das Justizministerium davon in Kenntnis. Dort bleibt dieser wichtige Brief des Verfassungsgerichtes merkwürdigerweise fast 2 (!) Monate unbearbeitet liegen, um am 16.09.2003 an das zuständige Innenministerium weiter geleitet zu werden. Inzwischen entscheidet das Verfassungsgericht am 06.08.2003, ohne eine Antwort der zuständigen Ministerien auf seinen Brief zu haben, im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Gemeinde. Damit gehen die Wahlvorbereitungen zur Kommunalwahl weiter.

Am 26.09.2003 bestätigt der Innenminister dem Verfassungsgericht den Verfahrensfehler, dass nunmehr auf dem Erkenntnisstand, den es schon am 17.07.2003 und am 06.08.2003 hatte, das Gesetz in den Absätzen 2 und 3 rechtswidrig ist.

Zusammenfassend bleiben folgende Fragen:

1.
Gab es eine Absprache zwischen dem Justizministerium und dem Innenministerium, diesen Brief des Verfassungsgerichtes im wichtigsten Gesetzgebungsverfahren des Innenministeriums unbearbeitet zwei Monate lang liegen zu lassen?
2.
Warum entschied das Verfassungsgericht mit dem gleichen Erkenntnisstand vom 17.07.2003 nicht bereits am 06.08.2003 über die Verfassungswidrigkeit des Gemeindeneugliederungsgesetzes, sondern erst am 16.10.2003?
3.
Warum drängte das Gericht nicht vor dem 06.08.2003 auf die Beantwortung seines Schreibens an das Justizministerium, sondern entschied - ohne eine Antwort abzuwarten - im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen die Gemeinden?
4.
Bezug nehmend auf die Punkte 2 und 3 drängt sich die Frage auf, hat jemand, der Ihnen politische Rechenschaft schuldet, Einfluss auf diesen ungewöhnlichen Gang des Verfahrens genommen?

Die Schuldzuweisungen zum Verfahrensfehler an den Amtsdirektor und den Landrat sind ein beispielloser Skandal. Die diesbezüglichen Pressemitteilungen des MdL, Herrn Petke, sind ebenso lächerlich und der durchschaubare Versuch, das Innenministerium und den Innenausschuss rein zu waschen,  nicht mehr als peinliches Wahlkampfgetöse.
Selbst irrigerweise vorausgesetzt, der Fehler wäre tatsächlich dem Landratsamt oder dem Amtsdirektor unterlaufen, federführend und damit verantwortlich für die Erarbeitung des wichtigsten Gesetzes dieser Legislaturperiode im Bereich des Innenministeriums war unstrittig das Innenministerium.
Wenn es dort jemanden auch nur ansatzweise interessiert hätte, was die Bevölkerung sagt, hätte man selbst bei Wahrnehmung oberflächlichen Verantwortungsbewusstseins feststellen müssen, dass dieser wichtige Teil im Gesetzgebungsverfahren fehlt.
Diese Oberflächlichkeit mag der Tatsache geschuldet sein, dass das Ergebnis des Gesetzgebungsverfahrens von vornherein feststand, nämlich die Eingemeindung von Groß Gaglow, Kiekebusch und Gallinchen nach Cottbus und es offensichtlich niemanden interessiert hat, was auf dem Weg  dahin erforderlich ist. Selbst wenn ein solches Interesse nicht bestand, gebietet die geschuldete Arbeitssorgfalt des MdI, die Beachtung der verfassungsrechtlichen Anhörung der Bevölkerung zu gewährleisten.

Der Innenausschuss ist mehrfach auf diese und andere Formfehler hingewiesen worden, interessiert hat es niemanden. Selbst das Schreiben der Kreisverwaltung vom 17.07.2002, in dem alle Gemeinden aufgezählt sind, in denen die Einwohnerbefragung in der Regie des Landkreises durchgeführt wurde, hat offensichtlich niemand mit der gebotenen Sorgfalt gelesen, denn da fehlt das Amt Neuhausen. Zum damaligen Zeitpunkt wäre eine Nachbesserung durch ein Nachholen der Anhörung möglich gewesen.

Der Versuch, die Schuld an diesem Versagen nun dem Landkreis oder dem Amt Neuhausen zuzuschieben, ist ein Skandal, so wie die Verfahrensweise und das Ergebnis des Gesetzgebungsverfahrens selbst.
Die von Herrn MdL Petke geäußerte Unterstellung, dass die „Panne“ im Verfahren der Landrat absichtlich herbeigeführt hätte, ist eine böswillige Unterstellung, der jegliche Grundlage fehlt.

Die Folgen tragen die Bürgerinnen und Bürger, deren Demokratieverständnis und deren Vertrauen in die sorgfältige Arbeit des Gesetzgebers schwer getroffen sind, die Folgen trägt das Amt Neuhausen und der Landkreis Spree-Neiße. Welche Folgen trägt eigentlich der Gesetzgeber und das das Gesetz erarbeitende Ministerium und welche Konsequenzen ziehen die Verantwortlichen?

Hochachtungsvoll

Dieter Friese
Landrat

 

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